Testsieger Familie
Wenn Emilia Anlauf nimmt und ihrem Papa entgegenspringt, ihm um den Hals fällt und ihn dabei fast erdrückt, dann spürt Matthias: So fühlt sich Glück an. Und er weiß, warum er sich ein zweites Mal für Familie entschieden hat: Es lohnt sich. Es ist einzigartig, ein Kind beim Aufwachsen zu begleiten, mit ihm zu toben, ihm das Radfahren beizubringen. Was könnte schöner sein?
Matthias lebt in einer typischen Patchworkfamilie: Sohn Lars (4 Jahre) stammt aus einer früheren Beziehung, mit seiner Frau Charlotte bekam er Tochter Emilia. Familie ist ein Mikro-Kosmos, mit allem, was dazugehört. Wenn sie einigermaßen intakt ist, bietet sie Schutz, Geborgenheit und die Basis, sich zu einem sozialen Wesen zu entwickeln. Kinder erfahren Fürsorge, Vertrauen und Nähe – elementare Dinge, um sich in der Welt zurechtzufinden und ein gesundes Selbstbewusstsein zu entwickeln. „Nur in einer Familie kann man bedingungslos lieben, sich streiten und wieder versöhnen“, sagt Charlotte.
Familie als Sinn des Lebens
„Für viele ist Familie die Antwort auf die Frage, was dem Leben Sinn gibt“, sagt die Kölner Familientherapeutin Katharina von Barner. „Menschen in einer Familie bleiben beziehungsfähig, sie tauschen sich aus, halten zusammen, übernehmen füreinander Verantwortung“, sagt sie.
Dennoch: Auch die bewusste Entscheidung gegen Familie und für eine bestimmte Aufgabe oder Position sei wichtig für die Weiterentwicklung einer Gesellschaft, beides habe seine Berechtigung. 1998 gab es in Deutschland 9,4 Millionen Familien mit Kindern unter 18 Jahren. Zehn Jahre später waren es eine Million weniger. Die Scheidungszahlen stiegen, die Geburtenraten sanken.
Ist die traditionelle Familie eine aussterbende Art? „Die Familie ist weder im Aufwind noch ist sie ein Auslaufmodell“, meint Harald Rost, Diplom-Soziologe am Staatsinstitut für Familienforschung an der Uni Bamberg. „Sie bietet gerade in unsicheren Zeiten Sicherheit und Geborgenheit und davon erfahren wir in der Welt um uns herum immer weniger.“
Lebensentwürfe sehen heute ganz unterschiedlich aus
Die familiären Strukturen sind im Wandel. „Das Bild der Familie ist bunter geworden“, sagt Rost. Es gibt verheiratete und unverheiratete Eltern, Alleinerziehende, Patchworkfamilien, binationale Familien, Familien mit gleichgeschlechtlichen Eltern, getrennt lebende Eltern. Familie ist also nicht out, sondern facettenreicher – und tendenziell kleiner. „Die Zahl der Familien mit drei und mehr Kindern ist seit den 1980er Jahren stark gesunken“, so der Soziologe. Das hat damit zu tun, dass Lebensentwürfe individueller gestaltet werden, dass Frauen ihre beruflichen Ziele verfolgen und später Kinder bekommen – oft bleibt dann keine Zeit für ein zweites und drittes Kind.
Wenn aus Paaren Eltern werden, bleibt oft ein Stück Unbeschwertheit, Unabhängigkeit und Zweisamkeit auf der Strecke. Auch Existenzangst kann eine Familie bedrohen. „Finanziell sind Familien gegenüber kinderlosen Paaren häufig schlechter gestellt, da zumindest zeitweise das zweite Einkommen wegfällt“, sagt Soziologe Rost.
Karriere oder Kinder
Auch Charlotte hat sich gegen die Karriere und für eine Teilzeitarbeit entschieden. Wenn ihre kinderlosen Kollegen ihr mittags einen „schönen Feierabend“ wünschen, warten zuhause die ganz normalen Alltagsturbulenzen auf sie. „Das Geld ist bei uns immer knapp, aber es reicht aus.“ findet Charlotte und „... ich bin glücklich, wenn ich nachmittags statt die neuen Kongressvorlage vorzubereiten mit den Kindern die ersten Blumen bestaune, zusammen Kuchen backe und mit ihnen die kleinen Wunder der Welt ganz neu entdecken kann!“
Wäre es denn besser, frei und ungebunden zu bleiben, gut zu verdienen und keine Verantwortung für den Nachwuchs übernehmen zu müssen? Julia Heilmann und Thomas Lindemann wagen in ihrem Buch „Kinderkacke“ daran zu denken, wie es denn so wäre, ohne Kinder und stellen die provokante These auf: „Wer keine Familie hat, starrt abends zu Hause an die Wand, raucht Kette, trinkt Whiskey und spielt zu viel Playstation. Nicht dass Playstation spielen so schlecht wäre. Es macht nur keine Leben her.“
„Die Kinder freuen sich jeden Tag, wenn ich abends komme, ich sehe die Welt durch ihre Augen und lerne täglich mich an Kleinigkeiten zu erfreuen.“ resümiert auch Matthias, „die beiden Kurzen geben mir so viel Kraft und dem Leben einen wirklichen Sinn. Ich bin wichtig für sie!“
Keiner muss perfekt sein
Die Zeit mit Kindern ist sicherlich kräfteraubend, aber es ist eine schöne, unvergleichliche Zeit. Warum sollte auch alles reibungslos klappen? Selbst für den dänischen Familientherapeuten Jesper Juul sind perfekte Familien ein Albtraum.
„Im Beruf kann Perfektionismus funktionieren. Beziehungen bringt man damit um“, sagte er im Brigitte-Interview. Also lieber die Ansprüche an Ordnung & Co runterschrauben und die Zeit mit den Kindern verbringen. Denn an das Versteckspielen, an die Kuschelzeiten und die Kinderbücher, die man vorgelesen hat, werden wir uns noch Jahre später erinnern.
Abends bekommt Matthias dann von seinem großen Kindergartenkind ganz stolz den ersten selbst gebastelten Papierfl ieger geschenkt. Gerührt muss er unwillkürlich doch noch mal ernsthaft an Charlottes Worte von neulich denken: „Meinst Du nicht, es wäre doch noch Platz im Kinderzimmer?“