Hebammenkunst soll immaterielles UNESCO-Weltkulturerbe werden
Die Hebammenkunst in seiner ureigensten Form ist aufgrund der aktuellen Veränderungen stark bedroht. Für alle Schwangeren bedeutet dies, dass sie nicht mehr - wie es seit Jahrhunderten Tradition war - mit der Begleitung einer Hebamme vor während und nach der Geburt rechnen können. Deshalb soll nun das Hebammenwesen in seiner ursprünglichen Form als immaterielles UNESCO-Weltkulturerbe geschützt werden. So die Idee der Göttingerin Deike Terruhn, die zusammen mit Barbara Hirt vom kidsgo Verlag den Antrag für die Hebammen geschrieben hat. Dieser ist am 28. Oktober 2015 als Gemeinschaftprojekt von den beiden Berufsverbände der Hebammen, dem DHV (Deutscher HebammenVerband) und dem BFHD (Bund freiberuflicher Hebammen Deutschlands) und dem Verein HfD (Hebammen für Deutschland) bei der Kulturbehörde in Berlin eingereicht worden.
kidsgo Leserin Deike Terruhn hatte die Idee
„Unsere Leserin Deike Terruhn sprach mich im Frühjahr an, ob es nicht eine gute Idee sei, das Hebammenwesen als immaterielles Weltkulturerbe schützen zu lassen“, erklärt kidsgo-Herausgeberin Barbara Hirt. „Ich war sofort begeistert und kontaktierte die Hebammenverbände und den HfD. Uns allen war sofort klar, dass allein schon die Einreichung eines solchen Antrags unseren Forderungen nach einer 1:1 Betreuung jeder Geburt und für das Recht jeder Frau auf individuelle Geburtshilfe einen enormen Aufwind geben würde.“ So machten sich die beiden engagierten Frauen daran den Antrag für die Hebammen auf den Weg zu bringen. Deike Terruhn recherchierte nachts während der Stillzeiten ihrer jüngsten Tochter und schrieb die erste Grundversion des Antrags. Gemeinsam suchten die beiden Mütter von je drei Kindern die Experten, trafen sich mit Historikern und diskutierten die inhaltlichen Schwerpunkte.
Zwei Experten begründen den Antrag
Heute untermauern zwei Experten-Gutachten den Antrag. Ein Gutachten stammt von Dr. Sven Hildebrandt, Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe an der Hochschule Fulda und Präsident der Dresdner Akademie für individuelle Geburtsbegleitung (DAfiGb). Die zweite Referenz erstellte Professor Dr. Marita Metz-Becker vom Institut für Europäische Ethnologie und Kulturwissenschaft von der Philipps-Universität Marburg, die schon zahlreiche Beiträge zur Historie des Hebammenwesens veröffentlicht hat.
Die Hebammen freuen sich über die Unterstützung
„Wir sind sehr dankbar, dass Barbara Hirt und Deike Terruhn die Initiative ergriffen haben, das Hebammenwesen in die Liste des immateriellen Weltkulturerbes eintragen zu lassen “, sagt Lisa von Reiche, Hebamme und HfD-Vorstandsmitglied. „Hebammenwissen droht hierzulande verloren zu gehen – mit allen Konsequenzen für Frauen, Kinder und Familien. Es gibt viele wichtige Argumente, Hebammenarbeit als schützenswert zu erachten.“
Netzwerk Elternini´s
Netzwerk der Eltern für Geburtskultur
In den letzten Jahren ging es immer wieder durch die Medien: Hebammenmangel, Versicherungsprämien, Kompromisse, die geschlossen wurden. Meist hört es sich so an, als ob dies ein Problem einer kleiner Gruppe von arbeitenden Hebammen ist. Doch wer die eigentlich Leidtragenden sind wird selten gesagt: Wir Mütter, unsere Kinder und unsere Familien. Und wir sind viele. Inzwischen ist das Netzwerk gegründet und wir werden als starke Elternstimme in Zukunft für eine sichere Geburtsbegleitung eintreten.
Hier liest du, wer zu dem Netzwerk der Elterninitiativen für Geburtskultur gehört, was auf den Treffen bisher passiert ist und wie du unterstützen kannst.
Sind Geburten noch sicher? Experten warnen
Experten warnen bereits jetzt davor, dass Geburten nicht mehr sicher sind. Hier liest du, welche Sorgen die Vorsitzenden des Deutschen Hebammenverbands und des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte haben. Sind Geburten noch sicher?
Warum ist das Hebammenwesen in Deutschland bedroht?
- Angestellte Hebammen in den Kliniken, wo 98 % aller Kinder geboren werden, betreuen meist mehrere Geburten gleichzeitig. Für spezielle Hebammenpraktiken braucht es aber Zeit und Ruhe. Verlassen Hebammen aufgrund dieser ungünstigen Arbeitsbedingungen, die Krankenhäuser, stirbt das über Jahrhunderte von Hebamme zu Hebamme weitergegebene Wissen aus.
- Aufgrund der in den letzten Jahren exorbitant gestiegenen Versicherungsprämien mussten schon mehr als 25 % der freiberuflichen Hebammen ihren Beruf aufgeben. Durch verfehlte Gesundheitspolitik wurde der Beruf zur Armutsfalle.
- Die Geburtshilfe entwickelt sich zunehmend zur Geburtsmedizin. Die Folge: Hebammenkunst wird nicht mehr gewürdigt oder kommt aus Zeitmangel nicht zum Einsatz. Einfach „guter Hoffnung sein“ ist heutzutage kaum noch einer Frau möglich: Die gynäkologische Untersuchung hat überwiegend Abweichungen vom Durchschnitt sowie Risiken im Blick. Die Geburtsmedizin vermittelt den Eindruck, alles unter Kontrolle zu haben. Demgegenüber stärken Hebammen das Selbstvertrauen der schwangeren Frauen und bereiten sie auf die natürliche Geburt vor.
- Laut Hebammengesetz (HebG §4 Hinzuziehungspflicht) muss bei einer Entbindung eine Hebamme anwesend sein. Dieser Paragraf führt die Tradition fort, dass Hebammen Frauen schon immer von der Schwangerschaft über die Geburt bis hin zum Wochenbett begleitet haben. In den letzten Jahren wurden die Rechte der Hebammen aber beschnitten, indem ihnen die Kompetenz zur eigenständigen und verantwortlichen Begleitung der Schwangeren abgesprochen wurde. Dies schränkt in der Folge auch das – gesetzlich zugesicherte – Recht der Frauen ein, den Geburtsort frei zu wählen und somit über die Umstände der Geburt ihres Kindes zu entscheiden.
Eltern fordern den Erhalt der Hebammen-Geburtshilfe
Tausende Frauen und Familien sind in den letzten Jahren für den Erhalt der individuellen Geburtshilfe und für eine 1:1-Geburtsbetreuung durch Hebammen auf die Straße gegangen. Elterninitiativen machen sich für das Hebammenwesen stark. Allen Protestierenden ist bewusst, was Gebärenden ohne Hebammenbegleitung verloren gehen wird. Die Anerkennung als immaterielles UNESCO-Weltkulturerbe würde diesen Anstrengungen zum Erhalt des Hebammenwesens in seiner traditionellen Form Aufschwung geben.
Was wird von der UNESCO unter Schutz gestellt?
Bereits 27 Traditionen, Bräuche und Handwerkstechniken stehen in dem bundesdeutschen UNESCO-Verzeichnis, beispielsweise das Bäckerhandwerk samt der deutschen Brotkultur. Ziel des von der UNESCO (Organisation der Vereinten Nationen für
Erziehung, Wissenschaft und Kultur) im Jahr 2003 verabschiedeten Übereinkommens ist die Erhaltung des weltweit vorhandenen traditionellen Wissens und Könnens. Mehr als 160 Staaten sind der völkerrechtlich verbindlichen Konvention beigetreten.